Clara und Olimpia unterschiedlicher könnten sie nicht sein. Was verbindet sie aber doch?

20. Dezember 2024

Clara und Olimpia – Unterschiedlicher könnten sie nicht sein. Doch was verbindet sie?

Um den folgenden Text vollständig zu verstehen, sollte man das Werk „Der Sandmann“ von E.T.A. Hoffmann gelesen haben. Im Deutschunterricht haben wir dieses Buch gemeinsam gelesen und analysiert. Ich werde nun die beiden zentralen Frauenfiguren des Werkes – Clara und Olimpia – miteinander vergleichen, ihre Beziehung zu Nathanael beleuchten und den zeitlichen Kontext einbeziehen.

Im Unterricht haben wir uns insbesondere mit dem Frauenbild, das in der Erzählung vermittelt wird, auseinandergesetzt. Auf dieser Grundlage möchte ich unsere Erkenntnisse im Folgenden näher erläutern.

Clara und Olimpia – zwei Gegenpole

Im Werk nehmen zwei Frauen eine bedeutende Rolle ein, die nicht gegensätzlicher sein könnten: Nathanaels Verlobte Clara und der Automat Olimpia.Claras Name enthält das Wort klar – und das passt auch zu ihrem Charakter: Sie zeichnet sich durch eine logische Denkweise, rationales Handeln und eine aufklärerische Haltung aus. Sie bricht mit dem traditionellen literarischen Frauenbild der Zeit und stößt damit auf Unverständnis. In ihrem Brief an Nathanael zeigt sich ihre Reife und ihr ernsthaftes Bemühen, ihm zu helfen. Trotz ihrer Rationalität zeigt sie auch Empathie und Gefühle, ohne dabei in eine klischeehafte Frauenrolle zu verfallen.Clara passt nicht in das romantische Frauenbild des 19. Jahrhunderts, in dem Frauen oft entweder als schwärmerische Muse oder als dämonisches Weib dargestellt wurden. Nathanael empfindet Claras Haltung als gefühllos und wirft ihr vor, kein Verständnis für seine inneren Konflikte zu haben. Dadurch kommt es zur Distanzierung zwischen den beiden. Clara nimmt eine moderne und selbstständige Rolle ein, die damals untypisch war. Olimpia hingegen verkörpert das Idealbild der Frau jener Zeit – eine Projektionsfläche männlicher Fantasien. Sie hat keine eigene Stimme, sie hört nur zu, nickt und bestätigt Nathanael. Genau das gefällt ihm an ihr: Sie widerspricht nicht, fordert nichts ein und stellt keine Ansprüche. Doch sie ist kein Mensch, sondern ein Automat. Nathanael erkennt ihre innere Leere nicht, da er völlig auf ihre äußere Erscheinung und sein eigenes Erleben fokussiert ist. Er liebt nicht Olimpia, sondern eine Illusion. Für den Leser hingegen wirkt Olimpia unheimlich – beinahe dämonisch. Hoffmann zeigt mit diesen beiden Frauenfiguren sehr deutlich, wie unrealistisch und entmenschlichend das damalige Frauenbild war.

War E.T.A. Hoffmann ein Feminist?

Da Hoffmann in seinem Werk ein kritisches Bild des damaligen Frauenbildes zeichnet, stellt sich die Frage: War E.T.A. Hoffmann ein Feminist? Da es keine universell gültige Definition eines Feministen gibt, ist diese Frage nicht eindeutig zu beantworten. Grundsätzlich gilt: Ein Feminist setzt sich aktiv für geschlechtliche Gleichberechtigung ein und versucht, Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen zu beseitigen. Um die Frage sinnvoll beantworten zu können, muss sie im zeitlichen Kontext betrachtet werden – insbesondere mit Blick auf das Werk Der Sandmann.

Zunächst einige Argumente, die gegen eine feministische Haltung sprechen:

Hoffmann hat sich nicht explizit für Gleichberechtigung eingesetzt. Sein Fokus lag in seinen Werken meist auf psychologischen Themen, wie beispielsweise der inneren Zerrissenheit oder psychischen Krankheit Nathanaels. In Der Sandmann wie auch in anderen Werken bedient Hoffmann gängige Frauenklischees: Frauen erscheinen häufig passiv, gefühlvoll oder als Projektionsfläche für Männer – so wie Olimpia. Der Begriff „Feminismus“ existierte zur damaligen Zeit in Deutschland noch nicht und war gesellschaftlich kein Thema. Hoffmann stellte gesellschaftliche Widersprüche dar, thematisierte sie aber nicht im Sinne einer klaren Kritik an Geschlechterverhältnissen.

Feministische Ansätze im Werk „Der Sandmann“?

Trotzdem lassen sich feministische Tendenzen in Der Sandmann erkennen – zumindest implizit: Durch die Figur Olimpia wird die Idealisierung und Objektifizierung der Frau auf die Spitze getrieben: Als Automat zeigt sie, wie absurd das Frauenideal jener Zeit war. Olimpia ist eine Kunstfigur, und genau deshalb lässt sich ihre Darstellung als Kritik am damaligen Frauenbild lesen. Eine „richtige“ Frau kann diesem Ideal gar nicht entsprechen. Clara hingegen steht für eine moderne, eigenständige Frau, die sich nicht unterordnet und selbstständig denkt. Sie widerspricht dem Klischee und fungiert als Gegenentwurf zu Olimpia. Auch patriarchale Strukturen werden thematisiert: Clara wird untergeordnet, etwa ihrem Bruder oder Nathanael gegenüber. Ihre Selbstständigkeit wird als lästig oder störend empfunden – was wiederum auf die gesellschaftliche Sichtweise der Zeit verweist.

Fazit

Meiner Meinung nach war E.T.A. Hoffmann kein Feminist im heutigen Sinne. Er hat sich nicht gezielt für die Gleichstellung der Geschlechter eingesetzt und seine Werke nicht auf dieses Thema fokussiert. Dennoch enthält Der Sandmann kritische Elemente, die auf eine Auseinandersetzung mit den Rollenbildern und Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern hinweisen. Hoffmann hat die Gesellschaft seiner Zeit scharf beobachtet und Widersprüche sichtbar gemacht, ohne diese jedoch explizit zu hinterfragen oder zu kritisieren. So bleibt er ein Zeitzeuge mit kritischem Blick, aber kein feministischer Vordenker.

Quellen:   

E.T.A. Hoffmann (2003): Der Sandmann. Text und Kommentar. Kommentiert von Peter Braun. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. 

Titelbild wurde mit Chat GPT generiert.

https://chatgpt.com